Trotz seiner aktuell schwierigen Zeit in der MotoGP™ scheint es, als ob die durchaus herausfordernde Situation kaum einen Einfluss auf Hafizh Syahrin hat. Der Rennfahrer fährt weiterhin mit bester Laune für den Red Bull KTM Tech3-Rennstall. Er ist eine besondere Persönlichkeit und daher sind wir umso neugieriger, was seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft anbelangt. Zur Halbzeit seiner zweiten MotoGP™-Saison haben wir den Malaysier besucht, um mit ihm ein gutes Gespräch zu führen.
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@Philip Platzer/KTM
„Wollen Sie was trinken?“ Ein gut gelaunter Hafizh Syahrin Abdullah kommt hinter der Bar hervor und holt zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank. Mit einem Sprint über die Treppe gelangt er rasch auf den ersten Stock des luxuriösen Hospitality-Bereichs, den Red Bull KTM Tech3 hier im Fahrerlager errichtet hat.
Das temporäre Zuhause des Teams dient als Bühnenbild für ein offenes Interview mit dem allerersten malaysischen MotoGP™-Rennfahrer. Obwohl er momentan nach seiner Topform sucht, nicht immer die gewünschten Ergebnisse erzielt, beeinflusst dies seine Laune kaum. Noch immer gehören viel Lachen und Spaß zu seinen Markenzeichen.
Das Interview mit dem KTM-Fahrer beginnt komischerweise mit einer Bemerkung zu seinem Namen, denn die Medien benutzen ständig eine falsche Reihenfolge. „Hafizh Syahrin ist mein Vorname, und Abdullah mein Nachname. Schon seit Beginn wird eigentlich nur Hafizh Syahrin benutzt, also steht das jetzt so auf dem Papier. Aber offiziell muss da eigentlich noch Abdullah am Ende stehen.“
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@Boerner T/KTM
Für den Malaysier ist es typisch, dass er sich keineswegs darüber aufregt. Er ist nur für eine Sache hier, nämlich Rennen zu fahren. Dieses Jahr fährt er auf einer KTM RC16, die zum Tech3-Team gehört. Das französische Team machte letzten Winter eine große Veränderung durch, indem es zum ersten Mal mit dem neuen Material arbeitete.
Teambesitzer Hervé Poncharal unterschrieb Anfang letzten Jahres einen dreijährigen Vertrag mit KTM und ist dadurch zum ersten Kundenteam des österreichischen Herstellers in der MotoGP™ geworden. Hafizh Syahrin erlebte die Veränderung hautnah, da er bereits 2018 unter der Flagge von Tech3 gefahren ist.
Leider verlief das zweite MotoGP™-Jahr für den Malaysier nicht ganz so rosig, denn in der ersten Hälfte der Saison konnte er lediglich zweimal in die Top-15 kommen. Er hat nur drei WM-Punkte erzielt. Das war natürlich für alle betroffenen Parteien enttäuschend. Auf die Frage hin, wieso die Ergebnisse verglichen mit 2018 so unterschiedlich sind, antwortet Hafizh Syahrin ganz ehrlich. „Der Wechsel schien doch sehr schwierig zu sein. KTM hat einen ganz anderen Charakter und es erfordert Zeit, sich daran zu gewöhnen. Aber wir entwickeln uns und ich glaube, dass wir mit harter Arbeit noch viel verbessern können.“
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@Guus van Goethem
Ziemlich kleiner Unterschied Ziemlich unerwartet stand der Name von Hafizh Syahrin plötzlich auf der permanenten Startliste der MotoGP™-Saison 2018. Sogar für den 25-jährigen Rennfahrer war es eine große Überraschung, dass er sich mit den besten Fahrern der Welt messen durfte. „Ich erinnere mich noch gut, als mir damals gesagt wurde, dass ich mich auf die MotoGP™-Maschine von Tech3 setzen durfte. Ich hatte mich gerade in Spanien auf die nächste Etappe in meiner Karriere vorbereitet, denn 2018 würde ich zum ersten Mal für das SIC-Team in der Moto2 fahren. Ich war gerade beim Mountainbike-Training in einer Bergregion und hörte mein Telefon klingeln. Ich nahm ab und es stellte sich heraus, dass Hervé Poncharal dran war. Er fragte mich, ob ich den MotoGP™-Test auf der thailändischen Buri-Ram-Rennstrecke als Ersatz für Jonas Folger machen wollte. Ich konnte es erst nicht glauben und habe noch drei Tage gebraucht, um zu begreifen, dass ich tatsächlich auf einer MotoGP™-Maschine fahren würde.“
Der Malaysier machte während seiner ersten Bekanntschaft mit der Königsklasse einen guten Eindruck und bekam ziemlich schnell danach einen Vertrag, um das Tech3-Team zu vervollständigen. „Ich hatte wirklich erwartet, dass ich mit so einem MotoGP™-Motorrad hart kämpfen müsste. Dass ich mindestens zwei oder drei Sekunden hinter dem Rest liegen würde. Stattdessen war der Unterschied zum schnellsten Mann in Wahrheit ziemlich klein. Nach dem ersten Test war ich 1,7 Sekunden langsamer und kurz vor der Saison habe ich den Abstand auf 1,2 Sekunden verringert.“
Ohne große Erwartungen konnte Hafizh Syahrin mehrere Male mit starken Ergebnissen überraschen. Er kam viermal in die Top-10 und sammelte am Ende 46 Punkte. Mit dieser Punktzahl war er nur vier Punkte davon entfernt, den Titel „Rookie of the year“ zu bekommen. Diese Ehre ging aber letztendlich an Franco Morbidelli, der in diesem Jahr als Moto2-Weltmeister in die Königsklasse kam. „Es war wirklich schade, dass ich in Australien keine Punkte geholt habe. Das ganze Wochenende verlief wirklich gut und ich konnte in die Top-8 kommen, aber auf Phillip Island ist es auch sehr einfach, die Führung zu verlieren. Genau das ist leider passiert, aber man lernt vor allem von den Rennen. Plötzlich ist man nämlich mit den Topfahrern ganz vorne dabei. Da nimmt man als Rookie ganz viel mit.“
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@Boerner T/KTM
Unglaublicher Wildcard-Auftritt Natürlich steckt hinter der MotoGP™-Geschichte von Hafizh Syahrin Abdullah eine spannende Vergangenheit. Der malaysische Rennfahrer hatte mit geschiedenen Eltern keine einfache Kindheit und musste oft umziehen. „Er wohnte meistens bei seiner Oma und seiner Mutter, aber als junger Mann schlief er auch regelmäßig am Arbeitsplatz seines Vaters.“ Shafie Harun reparierte und modifizierte Motoren und bereitete Rennmaschinen für lokale Fahrer vor. Daraus entstand ziemlich schnell seine Liebe für schnelle Motoren. Zusammen mit seinem Vater ging der kleine Hafizh Syahrin zu verschiedenen Rennstrecken.
Shafie Harun konnte fast nicht anders als mit seinem schwer verdienten Geld ein Pocketbike für seinen Sohn zu kaufen. „Von da an ging ich Schritt für Schritt höher und die Maschinen wurden immer schneller. Mein Vater und ich haben zusammen viel Zeit darin investiert, wobei wir natürlich so weit wie möglich kommen wollten. Mein Traum war es, professioneller Fahrer zu werden. Ich hätte niemals gedacht, dass ich letztendlich in die MotoGP™ kommen würde. Dafür bin ich sowohl meiner Familie als auch den Sponsoren sehr dankbar, die immer für mich da waren.“
2012 hat er einen sehr entscheidenden Moment in seiner noch jungen Karriere. Ein Wildcard-Auftritt auf seiner geliebten Sepang-Rennstrecke sorgt dafür, dass sich das Tor zum Grand Prix für Hafizh Syahrin Abdullah ganz weit öffnet. Wie aus dem Nichts kämpft plötzlich ein unbekannter malaysischer Rennfahrer um die Podiumsplätze in der Moto2. Daheim, auf einer klatschnassen Rennstrecke, bahnt er sich seinen Weg nach vorne und übernimmt nach der Hälfte des Rennens die Führung.
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@Boerner T/KTM
Gleichzeitig erhält er seinen Spitznamen El Pescao oder „der Fisch“. Mit spielerischer Leichtigkeit fährt er an etablierten Namen vorbei. Das Podium scheint noch einen Schritt zu weit weg zu sein (Anthony West verliert im November 2013 seine Erfolge aufgrund von Doping, wodurch Hafizh Syahrin auf Platz 3 klettert), aber auch der vierte Platz wird von seinem Petronas Raceline Malaysia-Team als Sieg gefeiert.
„Das Jahr davor bin ich mit einer Wildcard gefahren, aber nun war es wirklich das erste Mal, dass ich auf einer Moto2-Maschine saß. Um mehr Erfahrung zu sammeln, beschloss ich, 2012 nach Europa zu ziehen, damit ich an der spanischen Meisterschaft teilnehmen konnte. Ich habe natürlich sofort begriffen, dass ich außerhalb meiner Komfortzone leben musste, um professioneller Rennfahrer zu werden. Durch den Wettstreit in Sepang bin ich zum ersten Mal aufgefallen. Die Leute hatten plötzlich im Sinn, dass es neben Zulfahmi Khairuddin (damals KTM Moto3-Fahrer) noch einen guten malaysischen Fahrer gibt.“
Das goldene Ticket, das Hafizh Syahrin Abdullah durch seinen unglaublichen Wildcard-Auftritt in den Händen hält, wird 2014 endlich für einen permanenten Startplatz in der Moto2 eingelöst. Der Malaysier verbessert sich seitdem immer mehr und wird letztendlich ein fester Bestandteil der Zwischenklasse. 2017 erzielt er zweimal einen Podiumsplatz und im Jahr darauf will er in der Moto2 noch eine Schippe drauflegen. Zu seiner großen Überraschung kommt diese Gelegenheit nicht. Ein Anruf des Tech3-Besitzers Hervé Poncharal verändert nämlich alles.
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@Boerner T/KTM
Der Traum eines kleinen Jungen Obwohl sein zweites MotoGP™-Jahr bis jetzt nicht ganz so gut verläuft, hofft der 25-jährige Malaysier, noch einen Schritt in die richtige Richtung machen zu können. „Es sind schwere Zeiten, aber ich versuche einfach, so normal wie möglich zu leben. Ich fokussiere mich einfach jedes Mal auf das nächste Rennen und ich merke, dass der Abstand immer kleiner wird. Meine Zeiten verbessern sich jedes Mal. Hoffentlich hole ich dann schnell wieder ein paar Punkte.“
Hafizh Syahrin Abdullah weiß wie kein anderer, dass ein MotoGP™-Rennfahrer gute Ergebnisse erzielen muss, um seinen Platz zu behalten. Trotz einer zweifelhaften Zukunft in der Königsklasse (inzwischen wurde bestätigt, dass Brad Binder 2020 seinen Platz bei Tech3 übernimmt) blickt er gut gelaunt in die Zukunft. Die starke, positive Haltung verdankt er dem Stolz. „Motorsport wächst in den asiatischen Ländern enorm und das sieht man auch im Ticketverkauf. Der malaysische Grand Prix ist zum Beispiel schon fast ausverkauft. Die Leute kommen unter anderem, um mich als ‚ihren‘ MotoGP™-Rennfahrer zu sehen. Davon träumt man als kleiner Junge, aber dass man dann tatsächlich in diese Klasse kommt… Das ist für mich gerade Wirklichkeit und darauf bin ich stolz. Ich fahre in der MotoGP™ als erster Rennfahrer aus Malaysia. Zusammen mit meinen früheren Idolen Valentino Rossi und Jorge Lorenzo. Ich kann mich einfach nur sehr glücklich schätzen, wie schwer meine momentane Situation auch sein mag.“
Trotz der heiklen Situation hofft der jetzige Red Bull KTM Tech3-Rennfahrer, noch einige Zeit sein Land im MotoGP™-Fahrerlager vertreten zu können. „Ich kann die Zukunft natürlich nicht vorhersehen, aber es wäre schön, wenn mein Nachfolger auch ein Malaysier ist. Und vielleicht kann ich dabei sogar eine wichtige Rolle spielen. Wenn ich am Ende mit dem Rennfahren aufhöre, hoffe ich nämlich, im Motorsport weitermachen zu können. Falls ich die Möglichkeit habe, würde ich gerne jungen Fahrern helfen. Ich könnten sie zum Beispiel begleiten und ihnen helfen, in die Weltmeisterschaft aufzusteigen. Es ist wichtig, dass jemand ihnen, genauso wie mir, eine Chance gibt. Als ich noch in Malaysia gefahren bin, habe ich wenige Möglichkeiten gesehen, um nach Europa zu gehen, geschweige denn sogar in einen Grand Prix-Rennstall zu kommen. Dennoch hat es für mich geklappt und nun stehe ich selber in der MotoGP™. Es ist also wirklich möglich.“
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@Boerner T/KTM
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